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Berufliche Interessen in der Berufswahl

Eine gefestigte berufliche Identität wird als eine der wesentlichen Ressourcen für die lebenslange Beschäftigungsfähigkeit gesehen (Fugate et al., 2004). Berufliche Identität entwickelt sich, wenn Jugendliche Klarheit über ihre beruflichen Ziele und Interessen erlangen (vgl. Hirschi, 2015). Eine bewährte Methode in der Berufs- und Laufbahnberatung ist in diesem Sinne, Jugendliche während der Berufswahl dabei zu unterstützen, eine möglichst genaue Selbstkenntnis hinsichtlich ihrer beruflichen Interessen1 zu erlangen (siehe Hohner, 2006). Dies ermöglicht Empfehlungen von passenden Berufen oder Berufsfeldern, die bei der beruflichen Orientierung Jugendlichen eine Hilfestellung bieten können.

Ein wissenschaftlich fundiertes und in der Anwendung sehr verbreitetes Modell beruflicher Interessen ist das RIASEC-Modell nach John L. Holland (siehe Holland, 1997). In diesem Modell werden sechs Gebiete von beruflichen Interessen unterschieden. Die Beschreibungen der RIASEC-Interessen sind Tabelle 1 zu entnehmen. Das RIASEC-Modell fasst berufliche Interessen als stabile Eigenschaftsmerkmale auf.

Tabelle 1. Beschreibung der RIASEC-Interessen

CodeBezeichnungBeschreibung
R (realistic)handwerklich, praktischPersonen, die ein hoch ausgeprägtes handwerkliches, praktisches Interesse haben, bevorzugen Tätigkeiten, die Kraft und Koordination erfordern und handfeste Ergebnisse erzielen. Sie setzen zum Beispiel gerne Werkzeug und Maschinen ein, um etwas aus Holz oder Metall herzustellen.
I (investigative)analytisch, forschendPersonen, die ein hoch ausgeprägtes analytisches, forschendes Interesse haben, gehen gerne den Phänomenen in ihrer Umwelt auf den Grund. Sie möchten zum Beispiel genau verstehen, wie etwas funktioniert, und setzen sich gerne mit wissenschaftlichen Themen und Theorien auseinander.
A (artistic)gestalterisch, künstlerischPersonen, die ein hoch ausgeprägtes gestalterisches, künstlerisches Interesse haben, haben eine Vorliebe für Tätigkeiten mit Gestaltungsfreiheit, bei denen kreative oder ansprechende Produkte entstehen können. Sie setzen zum Beispiel gerne ihre Fantasie ein, um etwas schön zu gestalten.
S (social)sozial, helfendPersonen, die ein hoch ausgeprägtes soziales, helfendes Interesse haben, bevorzugen Tätigkeiten, bei denen sie andere Menschen unterstützen oder unterrichten und zu ihrer Weiterentwicklung oder Genesung beitragen können. Zum Beispiel umsorgen und betreuen sie gerne andere Personen.
E (enterprising)unternehmerisch, leitendPersonen, die ein hoch ausgeprägtes unternehmerisches, leitendes Interesse haben, mögen Tätigkeiten, bei denen sie andere Personen anleiten und führen können, um Ziele oder wirtschaftlichen Gewinn zu erreichen. Wie Verkäuferinnen und Verkäufer überzeugen sie gerne andere von Lösungen oder Ideen.
C (conventional)ordnend, verwaltendPersonen, die ein hoch ausgeprägtes ordnendes, verwaltendes Interesse haben, bevorzugen bürokratische Tätigkeiten, bei denen ein ordnungsliebender Stil förderlich ist. Sie haben eine Vorliebe für den detailorientierten Umgang mit Zahlen und Daten, wie zum Beispiel in der Buchhaltung.

Stimmen die individuellen RIASEC-Interessen und die berufliche Umwelt möglichst gut überein, begünstigt dies gemäss der Person-Umwelt-Passungs-Theorie (siehe Holland, 1997) den Erfolg und die Zufriedenheit von Personen im Berufsleben und in der Ausbildung (vgl. Eder & Bergmann, 2015; Nye et al., 2012; Van Iddekinge et al., 2011). So ist die Diagnostik von beruflichen Interessen ein in der Berufsberatung weit verbreitetes Mittel zur Unterstützung der beruflichen Orientierung: Wenn Jugendliche die Selbstkenntnis ihrer beruflichen Interessen verbessern, kann dies eine erfolgreiche Berufswahl begünstigen (vgl. Bußhoff, 2015). Der Erfolg der Berufswahl lässt sich nicht zuletzt anhand der Leistung, der Beständigkeit der Motivation und der Zufriedenheit von Personen bei ihrer beruflichen Tätigkeit oder Ausbildung bemessen (siehe Hohner, 2006; Nye et al., 2012).

Im Rahmen der Eignungsdiagnostik wurden für zahlreiche Berufe Anforderungsprofile definiert, die Aussagen darüber machen, welche drei der sechs RIASEC-Interessen in welchem Masse hauptsächlich dafür relevant sind (sogenannte Holland-Codes). So bedeutet beispielsweise der Holland-Code «RIC», dass die berufliche Tätigkeit an erster Stelle zum handwerklich/praktischen Interesse passt (starke Relevanz von «R», siehe Tabelle 1), an zweiter Stelle dem analytisch/forschenden Interesse («I») zuzuordnen ist und an dritter Stelle auch noch einen (vergleichsweise schwächeren) Bezug zum ordnend/verwaltenden Interesse («C») hat.2 Holland-Codes werden in der Regel über die Urteile von Fachleuten bestimmt, die dabei einschätzen, in welchem Ausmass die RIASEC-Interessen von einer beruflichen Tätigkeit angesprochen werden (oder auch welche der RIASEC-Interessen bei einem Beruf förderlich sind).

Footnotes

  1. Berufliche Interessen bezeichnen die Vorliebe einer Person für Handlungen, Situationen, Kontexte von Tätigkeiten und die Ergebnisse, die mit den bevorzugten Tätigkeiten verknüpft sind (siehe Nye et al., 2012).

  2. Ein Beispiel für einen Beruf mit dem Holland Code «RIC» ist Polymechaniker/in EFZ.